Kasachstan

CHARYN CANYON – Mutter Natur lässt Grüßen


Was ist bloß los, mit diesen Grenzbeamten? Übermäßige Langeweile? Vereinsamung? Jedenfalls höre ich nach einem Augenzwinkern und breiten Grinsen, dass an Zentralasiatischen Grenzen obligat zu sein scheint, (`Mann` ist in Flirtlaune), die schon so oft gehörte Frage: „Hast du einen Ehemann?“.
Die Antwort und unsere „Scheinehe“ ist Valentin und mir schon in Fleisch und Blut übergegangen. Eigentlich haben wir bereits seit dem Iran Begriffe wie FreundIn, PartnerIn o.ä. gänzlich aus unserem Vokabular verbannt. Also lautet auch hier die Antwort „Ja, natürlich! Da drüben ist mein Ehemann!“
Zwei Stempel später, einmal in die Kamera gucken und eine Inspektion des Roten (diesmal werden sogar mal ein-zwei Fächer geöffnet und ein Blick in meine Tasche geworfen), rollen wir schon Richtung Charyn Canyon. Im ersten Grenzort erledigen wir das für uns mittlerweile alltägliche, Sim Karte kaufen, neue Währung abheben, noch kurz eine Versicherung abschließen für den Roten und schon starten wir den Motor wieder.
Der Charyn Canyon ist (zurecht) touristisch, denn er ist wunderschön! So sind wir nicht allzu überrascht, als dort so einige niederländische Wohnmobile von einer Überlandtour parken. Dennoch machen wir ein bisschen abseits Halt auf einer Anhöhe, auf Campingplatz Feeling mit Nachbarn stehen wir nicht so.
Am frühen Abend drehen wir dann noch eine Runde zu diversen Aussichtspunkten und freuen uns über das schöne Licht.






Als es bereits Dunkel ist und wir uns in unser Zuhause zurück gezogen haben, setzt Regen ein und ein Grollen. „Oh, schön!“ denke ich, denn ich liebe Regen und Gewitter, einfach weil es so schön prasselt im Bus und man durch die Scheiben Blitze gucken kann. Doch schnell wird klar, unser Parkplatz auf der Anhöhe war nicht die beste Wahl, der Wind nimmt zu, erwischt uns direkt von der Seite und der Rote schaukelt sich ordentlich auf. Zwischen Donner und Blitz kann man keine Sekunde mehr zählen, sie folgen unmittelbar aufeinander und der Donner dröhnt im Körper wie eine riesige Bassbox. Wir merken schnell, dass das nicht eins der gewöhnlichen Unwetter ist, die man im Leben erfährt und als es den Regen zu den Dichtungen der Türen hineindrückt, wird uns langsam anders und die Farbe weicht uns aus den Gesichtern.
Scheiße! Wir müssen das Auto hier wegbekommen! Und zwar schnell!
Der kleine Zufahrtsweg hat sich binnen weniger Minuten in einen kleinen, recht zügig fließenden, Bach verwandelt aber das ist egal. Ich mache den Innenraum vom Bus schnell fahrbereit, während Valentin den Motor anschmeißt, der sich direkt mit einem lauten Heulen des Kühlerventilators rückmeldet, in dem sich ebenfalls der Wind zu schaffen macht.
In Schrittgeschwindigkeit bewegen wir uns vom Abgrund weg und hinunter zu den Picknickhäuschen, auf den offiziellen Parkplatz. Der Wind kommt dort Frontal, das Schaukeln ist dadurch ordentlich eingedämmt und so sitzen wir mit großen Augen und harren der Dinge...jedes Gewitter zieht schließlich irgendwann weiter!
Mutter Natur hat in dieser Nacht sehr deutlich bewiesen, wer hier die Hosen anhat...und wir sind froh, dass solche Unwetter nicht alltäglich sind, sondern ein wahrscheinlich einmaliges Erlebnis in dieser Intensität bleibt.
Am nächsten Morgen sind wir dennoch ausgeruht und motiviert, mal wieder Sport zu treiben, die Kulisse lädt sehr dazu ein.





Schnell sind die Mountainbikes fit gemacht und wir sausen Downhill den Canyon hinab. Fantastische Landschaft. Zurück sind wir dann schon etwas schweißtreibender unterwegs, die Mittagshitze lässt sich blicken und die Sonne steht steil, als wir wieder hinauf treten und uns die entgegenkommenden Touristen filmen und fotografieren.
Nachdem wir die Räder wieder verzurrt haben, geht es auch schon weiter...wir haben in den anderen Stans etwas gebummelt und Kasachstan ist nun leider zum Transitland für uns verkommen. Ergo heißt es: Strecke machen! Die Mongolei wartet! Wir sind spät dran...




ALMATY – Plastik an einer Steilwand


Da wir unsere Vorräte mal wieder auffüllen müssen, fahren wir nach Almaty, eine sehr moderne, große Stadt. Außerdem haben wir ein Hostel gefunden, welches gleichzeitig eine Kletterhalle sein soll, und da wir zuletzt an meinem Geburtstag (vor 3 Monaten im Iran) klettern waren, sind die Entzugserscheinungen nicht zu leugnen.
Einen kurzen Abstecher in eine der riesigen Malls müssen wir dann doch machen, um die Vorratsfächer neu zu befüllen. Wir staunen nicht schlecht, als wir auf eine Eislaufbahn in der Mall stoßen und uns in jedem Gang große Aquarien begegnen. Hat sich da etwa jemand ein bisschen Inspiration in Dubai geholt? Was den vernünftigen Umgang mit Ressourcen betrifft nicht unbedingt das beste Vorbild, wie wir finden.
Nachdem uns das restliche BlingBling von Almaty nicht so sehr sehenswert erschien, kommen wir am „SKALA“ an. Schon von Außen lässt sich die Speedclimbing Wand erkennen und der Hochseilgarten. Alles hat sicherlich schon bessere Tage gesehen aber wir sind nicht wählerisch, die Finger jucken!
Drinnen dann die Ernüchterung: Über die speckigen Griffe könnte man hinweg sehen, den Geräuschpegel den eine Schulklasse verursacht und die solala geschraubten Routen auch, aber...wir können einfach NIX mehr!


Innerhalb kürzester Zeit sind die Unterarme dicht, vom Schwierigkeitsgrad erst gar nicht zu reden, da müsste ich wohl erröten. Alles in allem ist der immensen Vorfreude die Frustration gefolgt. „Sag mal, wieviel Muskeln müssen wir denn bitte gehabt haben?“ entfährt es Valentin irgendwann...ich weiß es nicht, es müssen wohl einige gewesen sein?! Den Boulderbereich probieren wir gar nicht mehr aus, wie auch mit gepumpten Armen? Ab unter die Dusche, heimlich weinen gehen ; P




BUDDHA ROCK – Upgrade: felsige Steilwand


Wir flüchten vor der Schmach am Kunstoff und machen uns auf in ein Klettergebiet draußen. Ganz nebenbei soll es an den Felsen noch den Buddhas Rock geben, zu dem wir leider sowohl in unserem Reiseführer als auch im Netz nicht wirklich Informationen finden und euch deshalb nur das entspannte Antlitz der insgesamt fünf Buddhas auf Foto gebannt präsentieren können.
Doch zuerst müssen wir die kasachische Steppe kreuzen und nach unten zum Fluss gelangen...das wird dann auch abenteuerlicher als erwartet. Wir scheinen nicht den offiziellen Weg von Maps.me angezeigt zu kriegen, denn plötzlich fällt der Schotterweg vor uns steil ab. Von Schlaglöchern kann dort keine Rede mehr sein, vielmehr weißt der Pfad heftige Stufen auf, die nicht symmetrisch überwunden werden können. Der viele Schotter erleichtert das nach unten kommen nur dahingehend, dass wir immer noch ein Stückchen weiter rutschen, wenn wir die Bremsen bemühen. Jedes Mal wenn wir glauben, gleich wird es sicher besser, wird es nochmal ein Stückchen steiler und so steige ich ein paar Mal aus, um einschätzen zu können, ob der Rote die Schräglage ohne zu kippen schafft, da sich das im Fahrzeug selbst häufig extremer anfühlt, als es dann von außen beurteilt wird. Der Puls ist dennoch auf einem angespannten Niveau, ein paar Mal kurz Luft anhalten und hinterrücks Daumen drücken und irgendwann ist es geschafft...einmal drinnen in der steil abfallenden Piste, war ein umkehren ohnehin unmöglich.
Nach einmal Durchatmen fällt einem dann auch wieder ein, dass man ja noch ein Foto machen kann...aber die Wege wirken auf der Kamera dann eh nicht so Pulstreibend wie von Oben und im Roten sitzend.



Unten bei den Buddhas angelangt genießen wir einen wundervollen Nachmittag am Fluss, in welchen wir samt Kleidung gegen den Strom schwimmen, ohne von der Stelle zu kommen aber dafür im Anschluss entspannt die Felsen beobachten können, ohne gänzlich von der unsäglichen Hitze gequält zu werden.









Am nächsten Tag versuchen wir uns einen Fels weiter an den gebolteten Routen im Schatten. Und schon gehen wir nicht mehr so hart ins Gericht mit unseren untrainierten Leibern. Als wir zum Abschluss eine 6c klettern, kehrt der innere Friede zurück und wir machen Gesichter wie Buddha...doch nicht so weit entfernt von den Leistungen der Vergangenheit. GPS 44.062393, 76.997559




 




KAPTSCHAGAI STAUSEE – Erst Südufer dann Nordufer


Kasachstan zeigt sich und seine Steppe von seiner trockensten und heißesten Seite...sobald wir im Auto sitzen, die Scheiben wegen der unfassbar staubigen Luft geschlossen, heizt uns die Sonne hinter den Scheiben auf, wie in einem Treibhaus. 



Dass der Motor im Fußraum noch zusätzlich Hitze verströmt ist da nicht hilfreich, der Schweiß fließt wie in der Sauna und der Ventilator bläst uns stoisch die heiße Luft wie ein Föhn ins Gesicht. Selbst Abends zeigen die Digitalanzeigen der Tankstellen noch mind. 37 °C und wir vermuten im Innenraum des Roten 50°C. Zum Glück bietet Kasachstan auch das ein oder andere Gewässer und so planen wir die Tagesetappen von einem See oder Fluss zum Nächsten. So kommt es uns gelegen, dass der gar nicht so kleine Kaptschagai Stausee gleich zweimal auf unserem Weg liegt und wir sowohl das Südufer als auch das Nordufer für die Nacht anfahren. 


 





TENTEK FLUSS – Schwimmen, tanzen, Selfies machen


So geben wir auch ein Etappenziel am Tentek Fluss ein, für eine abendliche Erfrischung. Als wir ankommen vertilgen wir erst einmal ein paar Stullen, bei der Hitze merkt man häufig erst wenn man steht, dass man bislang nur gefrühstückt hatte. Kaum ist der Magen gefüllt bemerkt Valentin einen Sprinter, der sich an einer sandigen Stelle festgefahren hat. Kein Problem, wir bieten schnell unsere Hilfe an und ziehen das Fahrzeug kurz mit dem Abschleppseil hinaus. 


 
Wenn der Motor eh schon läuft suchen wir noch ein abgelegeneres Plätzchen am Fluss, weiter hinten, sodass wir von der Straße aus nicht mehr zu sehen sind. Das „abgelegene Plätzchen“ erweist sich dann zwar als fantastische Stelle, um baden zu gehen, allerdings wissen das die Einheimischen natürlich auch und so wird es eine lustige Runde als kurz darauf auch noch Kurt und Marlis aus der Schweiz (die beiden hatten wir in Tajikistan das erste mal getroffen) hinzustoßen. Während Valentin und ich das kühle Nass genießen tanzen die Beiden schon mit der gesamten Familie und so ist ein Selfie obligat, als wir tropfend aus dem Wasser kommen.


Dass wir an dem Abend nur Wassermelone essen erscheint der freundlichen Familie zu wenig und so werden wir direkt noch mit Samsa`s beschenkt, bevor man sich herzlich verabschiedet. Bevor die Moskitos aktiv werden und sich über uns hermachen sitzen wir noch ein Weilchen mit Kurt und Marlis beisammen und genießen die Atmosphäre und die guten Gespräche.






CHAR FLUSS – Schlafen unter der Brücke


Da wir primär Strecke machen und nur zum Schlafen Halt machen, ist dieser Blogbeitrag nicht ganz so üppig bestückt mit Erlebnissen wie die anderen Einträge...dennoch sind wir sehr erfreut über das kristallklare Wasser, welches sich durch Kasachstan zieht und uns unsere „Feierabende“ in kleinen Naherholungsgebieten verwandelt. Wir werden wohl irgendwann in der Zukunft noch einmal hier her kommen müssen, um uns auch noch den Rest dieses gigantischen Landes anschauen zu können...aber dann vielleicht nicht unbedingt im Hochsommer?!














SEMEI – kurzer Stopp in Rauchschwaden


Kaum ist eine verdaut, macht er sich schon wieder breit...der Pizzahunger! Da unser letztes Geld sowieso noch auf den Kopf gekloppt werden will bevor es nach Russland geht, fahren wir Semei an. Die Stadt macht schon von Weitem deutlich, dass sie Industrie hat, die rauchenden Schornsteine legen einen grauen Schleier über die Häuser. Während wir in Almaty nur Prunk und Protz zu sehen bekommen haben ist der Kontrast zur Landbevölkerung mal wieder riesig...in der Stadt Semei ist dann ein Mix aus beiden Welten zu sehen. Kleine Holzhütten mit Charme wechseln sich ab mit riesigen Plattenbauten und zwischendrin immer mal wieder ein sehr moderner Supermarkt, Anzeigetafeln mit den neusten Smartphones und hippe Fast Food Restaurants. 







Nachdem uns von einer riesigen Pizza, die ein jeder von uns vertilgt hat, übel ist, suchen wir uns noch außerhalb ein Plätzchen zum Schlafen, mit besserer Luftqualität. Wir werden fündig an einem der zahlreichen Sonnenblumenfeldern.



Und so verbringen wir nach 10 Tagen Kasachstan auch schon unsere letzte Nacht in diesem riesigen Stan-Land, an dessen Oberfläche wir lediglich gekratzt haben.


 

Was die östliche Route in den Norden hoch nach Russland betrifft so haben wir viel Schlechtes über die Straßenzustände in sämtlichen Foren finden können und auch andere Overlander haben uns prophezeit, wir würden durchschnittlich mit 20km/h voran schnecken, wenn wir diese Route nehmen...unser Resümee: Die Strecke hat einen schlechteren Ruf als die Realität uns lehrte. Viele Abschnitte befinden sich in Ausbesserung oder es wird gar parallel eine neue Straße angelegt. Die Bodenwellen und Schlaglöcher sind zwar vorhanden aber bei weitem nicht so schlimm wie in Turkmenistan und es ist ein gutes Vorankommen möglich. Wir haben jedenfalls ein zufriedenstellendes Pensum von 200-300km pro Tag absolviert und konnten dennoch die frühen Abendstunden genießen und waren morgens auch nicht sonderlich früh auf den Beinen ;)
Traut euch!


Kommentare

  1. Ihr beide, ist mit euren Radfahrfreunden alles in Ordnung? Es gab ein schlimmes Attentat auf Radfahrer in Tadschikistan!
    Lieben Gruß von Carola und Joachim

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    1. Leider nein, mindestens zwei der Opfer kannten wir. Unser aufrichtiges Mitgefühl und unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Radfahrer, die diesen Horror gerade durchleben müssen. Es macht uns sprachlos!

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