SAMARA
– Jura oder doch lieber Revolution?
Wir
haben einen schlechten Start in Samara. Als wir die Stadt erreichen
fängt es an zu Regnen und in jedem Hostel in dem wir anfragen, ob
wir dort gegen kleines Entgelt Duschen können, bekommen wir die
gleiche mürrische Auskunft „Nur für Gäste!“. Nach mehreren
Tagen Duschabstinenz hatten wir uns darauf am meisten gefreut. Der
Tag ist kalt und in Kombination mit dem Regenwetter können wir uns
nicht überwinden unser Duschzelt im Freien aufzuschlagen und den
Duschhahn mit kaltem Wasser aufzudrehen. Nachdem wir 6 Hostels
abgeklappert hatten, nehmen wir resigniert vorlieb auf einem großen
Parkplatz, unterhalb des Monuments of Glory.
Wir bibbern im Roten und beschließen
zum zweiten Mal auf der gesamten Reise die Dusche im Inneren des
Roten zu benutzen. A***kalt ist diese dennoch aber ein Warmer Tee im
Anschluss heizt nicht nur den Bus von Innen, sondern auch uns. Am
frühen Abend haben sich die Regenwolken dann verzogen und wir wagen
einen kleinen Spaziergang an der Wolga und durch die Stadt.
Am
nächsten Tag scheint die Sonne herrlich, die Stadt ist wunderschön
aber dennoch enttäuscht uns Samara erneut...kein Zutritt zum
Stalinbunker! Nur für angemeldete Reisegruppen mit Guide! Na famos,
darauf hatte ich mich schließlich seit Tagen gefreut.
Also weiter zu
Lenins Haus, oder vielmehr das Haus der Familie Uljanow, die hier in
Samara wohnte, als Wladimir Iljitsch Uljanow, bekannt als Lenin, sein
Jurastudium begann.
Die Dame, die uns durch die neu restaurierten
Räume führen soll ist irgendwie grimmig drauf, spricht in harschem
Ton auf russisch auf uns ein, bis sie merkt, dass Valentin und ich
Deutsch miteinander sprechen...da legt sich plötzlich ein Schalter
bei ihr um und zaghaft beginnt sie ihre Sätze ebenfalls deutsch zu
formulieren. Als wir dann in den Räumlichkeiten stehen, in denen die
Familie Uljanow lebte wird ihre Ausdrucksweise plötzlich immer
blumiger, gar liebevoll spricht sie von Lenins kleiner Schwester,
zeigt uns das Kinderzimmer und Wladimirs Studierzimmer und erzählt
ganz nebenbei, dass sie Deutsch an der Universität gelernt hat,
redet ihr Können aber sofort ganz bescheiden klein und bedauert, die
Sprache so selten nutzen zu können. Als wir ihre Frage bejahen, ob
wir nicht auf Deutsch etwas ins Gästebuch eintragen könnten, ist
sie vollends hin und weg und so verlassen wir das Haus Uljanow nach
vielen warmen Worten für unsere Weiterreise.
WOLGOGRAD
– Nie wieder Krieg!
Mutter
Heimat ruft sich die Seele aus dem Leib und wir folgen ihrem Ruf. Ja,
was in Deutschland das sogenannte „Vaterland“ ist, ist hier die
„Mutter“ und diese thront imposant und monumental auf jenem
Hügel, der in der damaligen Schlacht um Stalingrad von strategischer
Wichtigkeit war.
Aber
der Reihe nach, denn wir besichtigen erst einmal zu Fuß die Stadt,
die nur so gespickt ist mit Kriegsdenkmälern und Gedenktafeln aber
unabhängig davon, auch zahlreiche nette Cafès und Flaniermeilen
entlang der malerischen Wolga zu bieten hat.
Alleine der Hauptbahnhof
ist schon eine Sehenswürdigkeit, denn dieser strotzt nur so vor
Deckenmalereien durch welche der Eindruck entstehen könnte, man
stünde in einer Kathedrale...weit gefehlt, die Motive sind alles
andere als Christlich.
Nachdem
wir zwei Tage die Stadt erkundet hatten, ging es dann zum Mamajew
Hügel. Und hier zeigt sich, dass Russland etwas von Gedenkkultur
versteht, denn man bleibt Sprachlos zurück. Obwohl wir nicht die 200
Stufen vom Fuß des Hügels nach oben schreiten (die Schlacht um
Stalingard dauerte 200 Tage und Nächte an), sondern das bis ins
kleinste Detail arrangierte Ensemble an Statuen von der anderen Seite
des Hügels abschreiten, ist der Pathos allgegenwärtig.
Mutter
Heimat ist sage und schreibe 85 m hoch und schwenkt ihr 14 Tonnen
schweres und 33 m langes Schwert mit leerem, gar geisterhaftem Blick über Wolgograd. Als wir dann in den
„Saal des militärischen Ruhms“ kommen, wird einem anhand der
nicht enden wollenden Namen im Rondell deutlich, welche Ausmaße
dieser Krieg hatte.
Über Begrifflichkeiten, wie den „Platz der
Helden“ lässt sich sicherlich streiten, nachträgliche
Glorifizierungen von Grausamkeiten nutzen auf beiden Seiten wenig.
Vielmehr ziehen wir aus unserem Besuch den einzig logischen Schluss:
Nie wieder Krieg! In Zeiten wie diesen liegt es an uns allen, es
nicht noch einmal zu so einer Katastrophe kommen zu lassen, für die
tausende ihr Leben lassen und ihre Menschlichkeit aufgeben müssen.
LERMONTOW
– Davay davay ihr schlaffen Muskeln!
Für
uns geht es weiter nach Lermontow, um mal wieder die Muskeln spielen
zu lassen und das dürfen sie dann auch. Die russischen
Schwierigkeitsgrade sind einmalig. GPS 44.114998, 42.99238
Die
Sportkletterer scheinen hier wahre Maschinen zu sein, den eine 5c
wärmt uns gleich zu beginn mehr auf als uns lieb war. Wir tasten uns
in dem Gebiet noch hoch bis 6b und stoßen an unsere
Grenzen...Wahnsinn! Leider ist dies auch das erste Gebiet, in dem uns
die Bolts nicht allzu sehr gefallen, manche scheinen Selfmade zu sein
und alle haben gemein, nicht im gewohnten Silber zu glänzen sondern
sich mit einem schicken Rostrot in den Fels einzufügen. Wir wählen
die Routen also mit Bedacht aber hier scheint auch schon eine
Erneuerung in Gang zu sein, jedenfalls lassen sich auch ein paar
wenige neue Haken finden.
KISLOWODSK
– Altstadt mit Flair und Blini
Zwei
Tage später treibt uns die Suche nach Trinkwasser in die Stadt, die
zahlreichen Quellen in dieser Gegend sind hoch mineralisch, gesund
wenn man direkt von der Quelle trinkt, erklärt uns ein junger Mann
den wir treffen, allerdings kippt das Wasser nach aller spätestens
zwei Tagen und wir stellen fest, bereits nach 24 Stunden stinkt es
unangenehm nach faulen Eiern. Also ab in die Stadt, wo wir
bedauerlicherweise auch nur das heilende Mineralwasser finden, aber
dafür leckere Blini mit Petersilie und Dill, die wir beim flanieren
durch die schöne Kleinstadt mümmeln.
PJATIGORSK
– Miefige Quellen
Der
Mief des Minerals begleitet uns noch ein Weilchen durch den Kaukasus,
denn auch bei Pjatigorsk findet man kein Wasser, mit dem wir unsere
Kanister befüllen möchten. Allerdings sind auch hier die Menschen
super freundlich, wenn man um Hilfe bittet und so befüllt uns eine
Restaurant Inhaberin unsere zwei 20 Liter Tanks in ihrer Küche. Die
Hilfsbereitschaft die man auf Reisen erfährt, ohne dass dafür eine
Gegenleistung erwartet wird, ist immer wieder unbeschreiblich.
Die
Klettergebiete vor Ort sagen uns allerdings so gar nicht zu, die
Bohrhaken sind noch rostiger als in Lermontow, die Routen nur wenige
Meter lang und so verwerfen wir unsere Kletterpläne und besichtigen
nur noch die kleine Proval Höhle, in welcher mal wieder miefiges
Heilwasser, eine menge Plastikmüll in Selbigem und ein Marienbild
hinter Gittern begutachtet werden kann.
WLADIKAWKAS
– Do Svedaniya Kaukasus und Russland
Wir
nähern uns rasant der Grenze zu Georgien, wo wir auf gutes Wetter
hoffen, um unser Vorhaben vom vergangenen Jahr, am Kazbek in
Stephansminda zu klettern, nachzuholen. Gleichzeitig haben wir noch
lange nicht unsere alte Fitness` wieder erlangt. Die lange
Kletterpause in Zentralasien und der Mongolei gilt es wieder wett zu
machen und so machen wir 25 Kilometer vor der Grenze erneut Halt und
verbringen noch zwei phantastische Tage am solidem Fels, zwischen
immer bunter werdenden Blättern und netten Kletterbekanntschaften.
GPS 42.942614, 44.656663
Dann
geht es über die Grenze. Die gesamte Nacht über hat es geregnet und
die Bäume auf den Bergen, welche sich morgens noch in dichtem Nebel
hüllen, zeigen sich später in einem weißen Gewand, als wir in
eisiger Kälte unsere Pässe der Grenzbeamtin vorlegen. Trotz
Daunenjacke warten wir bibbernd auf unseren Ausreisestempel und
freuen uns darauf, zurück ins Auto zu können, sobald sie mit den
Formalien fertig ist. Dumpf lässt sie den metallenen Stempel auf
unser Passseiten niedersausen und ich strecke ihr mit einem „Spasibo
i do svidaniya“ erwartungsvoll die Hände entgegen, doch sie legt
die Pässe nicht dort hinein, sondern beiseite. Sie versucht mir auf
Russisch etwas zu erklären, führt ein Telefonat und nachdem wir
unser Handy zur Übersetzung bemühen, steht nur ein Satz darauf „You
must wait“. Das tun wir dann auch, freundlicherweise in unserem
Wagen im Warmen und nachdem ein wenig Zeit vergangen ist, klopft ein
Mann in Anzug an unserem Fenster. „English or Russia?“ Fragt er,
und wir wählen Englisch. Und dann beginnt auch schon ein ominöses
Interview, indem wir einfach übertrieben euphorisch vom „awesome
Russia“ und der „great Nature“ schwärmen, erklären dass wir
„Rock Climber“ sind und eben dies auch am Kazbek gedenken zu
tun...klettern! Der Mann hört sich meinen Redeschwall zufrieden an,
bedankt sich und wünscht uns gute Weiterfahrt...was war das denn?
Wir bekommen unsere Pässe zurück und weiter geht`s.
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