Russland 3

SAMARA – Jura oder doch lieber Revolution?


Wir haben einen schlechten Start in Samara. Als wir die Stadt erreichen fängt es an zu Regnen und in jedem Hostel in dem wir anfragen, ob wir dort gegen kleines Entgelt Duschen können, bekommen wir die gleiche mürrische Auskunft „Nur für Gäste!“. Nach mehreren Tagen Duschabstinenz hatten wir uns darauf am meisten gefreut. Der Tag ist kalt und in Kombination mit dem Regenwetter können wir uns nicht überwinden unser Duschzelt im Freien aufzuschlagen und den Duschhahn mit kaltem Wasser aufzudrehen. Nachdem wir 6 Hostels abgeklappert hatten, nehmen wir resigniert vorlieb auf einem großen Parkplatz, unterhalb des Monuments of Glory. Wir bibbern im Roten und beschließen zum zweiten Mal auf der gesamten Reise die Dusche im Inneren des Roten zu benutzen. A***kalt ist diese dennoch aber ein Warmer Tee im Anschluss heizt nicht nur den Bus von Innen, sondern auch uns. Am frühen Abend haben sich die Regenwolken dann verzogen und wir wagen einen kleinen Spaziergang an der Wolga und durch die Stadt.



Am nächsten Tag scheint die Sonne herrlich, die Stadt ist wunderschön aber dennoch enttäuscht uns Samara erneut...kein Zutritt zum Stalinbunker! Nur für angemeldete Reisegruppen mit Guide! Na famos, darauf hatte ich mich schließlich seit Tagen gefreut. 
Also weiter zu Lenins Haus, oder vielmehr das Haus der Familie Uljanow, die hier in Samara wohnte, als Wladimir Iljitsch Uljanow, bekannt als Lenin, sein Jurastudium begann. 


Die Dame, die uns durch die neu restaurierten Räume führen soll ist irgendwie grimmig drauf, spricht in harschem Ton auf russisch auf uns ein, bis sie merkt, dass Valentin und ich Deutsch miteinander sprechen...da legt sich plötzlich ein Schalter bei ihr um und zaghaft beginnt sie ihre Sätze ebenfalls deutsch zu formulieren. Als wir dann in den Räumlichkeiten stehen, in denen die Familie Uljanow lebte wird ihre Ausdrucksweise plötzlich immer blumiger, gar liebevoll spricht sie von Lenins kleiner Schwester, zeigt uns das Kinderzimmer und Wladimirs Studierzimmer und erzählt ganz nebenbei, dass sie Deutsch an der Universität gelernt hat, redet ihr Können aber sofort ganz bescheiden klein und bedauert, die Sprache so selten nutzen zu können. Als wir ihre Frage bejahen, ob wir nicht auf Deutsch etwas ins Gästebuch eintragen könnten, ist sie vollends hin und weg und so verlassen wir das Haus Uljanow nach vielen warmen Worten für unsere Weiterreise.













WOLGOGRAD – Nie wieder Krieg!


Mutter Heimat ruft sich die Seele aus dem Leib und wir folgen ihrem Ruf. Ja, was in Deutschland das sogenannte „Vaterland“ ist, ist hier die „Mutter“ und diese thront imposant und monumental auf jenem Hügel, der in der damaligen Schlacht um Stalingrad von strategischer Wichtigkeit war.
Aber der Reihe nach, denn wir besichtigen erst einmal zu Fuß die Stadt, die nur so gespickt ist mit Kriegsdenkmälern und Gedenktafeln aber unabhängig davon, auch zahlreiche nette Cafès und Flaniermeilen entlang der malerischen Wolga zu bieten hat. 


Alleine der Hauptbahnhof ist schon eine Sehenswürdigkeit, denn dieser strotzt nur so vor Deckenmalereien durch welche der Eindruck entstehen könnte, man stünde in einer Kathedrale...weit gefehlt, die Motive sind alles andere als Christlich.



Nachdem wir zwei Tage die Stadt erkundet hatten, ging es dann zum Mamajew Hügel. Und hier zeigt sich, dass Russland etwas von Gedenkkultur versteht, denn man bleibt Sprachlos zurück. Obwohl wir nicht die 200 Stufen vom Fuß des Hügels nach oben schreiten (die Schlacht um Stalingard dauerte 200 Tage und Nächte an), sondern das bis ins kleinste Detail arrangierte Ensemble an Statuen von der anderen Seite des Hügels abschreiten, ist der Pathos allgegenwärtig. 

 


Mutter Heimat ist sage und schreibe 85 m hoch und schwenkt ihr 14 Tonnen schweres und 33 m langes Schwert mit leerem, gar geisterhaftem Blick über Wolgograd. Als wir dann in den „Saal des militärischen Ruhms“ kommen, wird einem anhand der nicht enden wollenden Namen im Rondell deutlich, welche Ausmaße dieser Krieg hatte. 

Über Begrifflichkeiten, wie den „Platz der Helden“ lässt sich sicherlich streiten, nachträgliche Glorifizierungen von Grausamkeiten nutzen auf beiden Seiten wenig. Vielmehr ziehen wir aus unserem Besuch den einzig logischen Schluss: Nie wieder Krieg! In Zeiten wie diesen liegt es an uns allen, es nicht noch einmal zu so einer Katastrophe kommen zu lassen, für die tausende ihr Leben lassen und ihre Menschlichkeit aufgeben müssen.








LERMONTOW – Davay davay ihr schlaffen Muskeln!


Für uns geht es weiter nach Lermontow, um mal wieder die Muskeln spielen zu lassen und das dürfen sie dann auch. Die russischen Schwierigkeitsgrade sind einmalig. GPS 44.114998, 42.99238
Die Sportkletterer scheinen hier wahre Maschinen zu sein, den eine 5c wärmt uns gleich zu beginn mehr auf als uns lieb war. Wir tasten uns in dem Gebiet noch hoch bis 6b und stoßen an unsere Grenzen...Wahnsinn! Leider ist dies auch das erste Gebiet, in dem uns die Bolts nicht allzu sehr gefallen, manche scheinen Selfmade zu sein und alle haben gemein, nicht im gewohnten Silber zu glänzen sondern sich mit einem schicken Rostrot in den Fels einzufügen. Wir wählen die Routen also mit Bedacht aber hier scheint auch schon eine Erneuerung in Gang zu sein, jedenfalls lassen sich auch ein paar wenige neue Haken finden.









KISLOWODSK – Altstadt mit Flair und Blini


Zwei Tage später treibt uns die Suche nach Trinkwasser in die Stadt, die zahlreichen Quellen in dieser Gegend sind hoch mineralisch, gesund wenn man direkt von der Quelle trinkt, erklärt uns ein junger Mann den wir treffen, allerdings kippt das Wasser nach aller spätestens zwei Tagen und wir stellen fest, bereits nach 24 Stunden stinkt es unangenehm nach faulen Eiern. Also ab in die Stadt, wo wir bedauerlicherweise auch nur das heilende Mineralwasser finden, aber dafür leckere Blini mit Petersilie und Dill, die wir beim flanieren durch die schöne Kleinstadt mümmeln.











PJATIGORSK – Miefige Quellen

Der Mief des Minerals begleitet uns noch ein Weilchen durch den Kaukasus, denn auch bei Pjatigorsk findet man kein Wasser, mit dem wir unsere Kanister befüllen möchten. Allerdings sind auch hier die Menschen super freundlich, wenn man um Hilfe bittet und so befüllt uns eine Restaurant Inhaberin unsere zwei 20 Liter Tanks in ihrer Küche. Die Hilfsbereitschaft die man auf Reisen erfährt, ohne dass dafür eine Gegenleistung erwartet wird, ist immer wieder unbeschreiblich.
Die Klettergebiete vor Ort sagen uns allerdings so gar nicht zu, die Bohrhaken sind noch rostiger als in Lermontow, die Routen nur wenige Meter lang und so verwerfen wir unsere Kletterpläne und besichtigen nur noch die kleine Proval Höhle, in welcher mal wieder miefiges Heilwasser, eine menge Plastikmüll in Selbigem und ein Marienbild hinter Gittern begutachtet werden kann. 




 




WLADIKAWKAS – Do Svedaniya Kaukasus und Russland


Wir nähern uns rasant der Grenze zu Georgien, wo wir auf gutes Wetter hoffen, um unser Vorhaben vom vergangenen Jahr, am Kazbek in Stephansminda zu klettern, nachzuholen. Gleichzeitig haben wir noch lange nicht unsere alte Fitness` wieder erlangt. Die lange Kletterpause in Zentralasien und der Mongolei gilt es wieder wett zu machen und so machen wir 25 Kilometer vor der Grenze erneut Halt und verbringen noch zwei phantastische Tage am solidem Fels, zwischen immer bunter werdenden Blättern und netten Kletterbekanntschaften. GPS 42.942614, 44.656663




Dann geht es über die Grenze. Die gesamte Nacht über hat es geregnet und die Bäume auf den Bergen, welche sich morgens noch in dichtem Nebel hüllen, zeigen sich später in einem weißen Gewand, als wir in eisiger Kälte unsere Pässe der Grenzbeamtin vorlegen. Trotz Daunenjacke warten wir bibbernd auf unseren Ausreisestempel und freuen uns darauf, zurück ins Auto zu können, sobald sie mit den Formalien fertig ist. Dumpf lässt sie den metallenen Stempel auf unser Passseiten niedersausen und ich strecke ihr mit einem „Spasibo i do svidaniya“ erwartungsvoll die Hände entgegen, doch sie legt die Pässe nicht dort hinein, sondern beiseite. Sie versucht mir auf Russisch etwas zu erklären, führt ein Telefonat und nachdem wir unser Handy zur Übersetzung bemühen, steht nur ein Satz darauf „You must wait“. Das tun wir dann auch, freundlicherweise in unserem Wagen im Warmen und nachdem ein wenig Zeit vergangen ist, klopft ein Mann in Anzug an unserem Fenster. „English or Russia?“ Fragt er, und wir wählen Englisch. Und dann beginnt auch schon ein ominöses Interview, indem wir einfach übertrieben euphorisch vom „awesome Russia“ und der „great Nature“ schwärmen, erklären dass wir „Rock Climber“ sind und eben dies auch am Kazbek gedenken zu tun...klettern! Der Mann hört sich meinen Redeschwall zufrieden an, bedankt sich und wünscht uns gute Weiterfahrt...was war das denn? Wir bekommen unsere Pässe zurück und weiter geht`s.




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